- Hilbert: Lebensweg und Werk eines Mathematikers
- Hilbert: Lebensweg und Werk eines MathematikersWir schreiben Freitag, den 25. September 1891. In einem Berliner Wartesaal diskutieren einige Wissenschaftler über ihre Erlebnisse und Erfahrungen der vergangenen Woche. Sie hatten in Halle an der 64. Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte teilgenommen und waren auf der Heimreise. Ein Vortrag »Über Grundlagen und Aufbau der Geometrie« erregte die Gemüter ganz besonders. Und plötzlich kam es zu einem bemerkenswerten Ausspruch — ein Ausspruch, der später einmal um die Welt gehen sollte und der zugleich symptomatisch wurde für das mathematische Denken des 20. Jahrhunderts: »Man muss jederzeit an Stelle von »Punkten, Geraden, Ebenen« »Tische, Stühle, Bierseidel« sagen können.« Und der das sagte, war ein 29-jähriger hoch begabter und vielseitiger Mathematiker. Sein Name: David Hilbert.Hilbert stand am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf der Höhe seiner Schaffenskraft und hat entscheidend wie wohl kaum ein anderer das mathematische Denken in den ersten Jahrzehnten geprägt. Von vielen wird er sogar als der Mathematiker des Jahrhunderts angesehen. Man hat ihn mit Einstein — mit dem er in wissenschaftlichem Kontakt stand — verglichen: Was Einstein für die Physik war, war Hilbert für die Mathematik. Die Idee, die in dem genannten Ausspruch von 1891 zutage tritt, hat Hilbert 1899 in seinem maßgebenden Werk »Grundlagen der Geometrie« in entsprechend radikaler Form umgesetzt. Es erschien im Rahmen einer Festschrift zur Enthüllung des Gauß-Weber-Denkmals in Göttingen. Während Hilbert bisher in Fachkreisen bekannt war, kam er mit diesem Werk zu Weltruhm.Damit hat sich ein bemerkenswerter Übergang auf dem Gebiet der Geometrie vollzogen. Während man das geometrische Gebäude vorher auf empirisch-anschauliche Tatsachen gestützt hatte, hat man gegen Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, es als rein formal-deduktives System aufzufassen. Hilbert hat das erstmals in konsequenter Form durchgeführt. Das anschauliche Substrat der geometrischen Begriffe ist mathematisch belanglos. Nicht nur die mathematischen Grundbegriffe, sondern auch alle darauf aufbauenden Zusammenhänge sollten unabhängig von der gegenständlichen Anschauung gültig sein. Statt auf die Anschauung kommt es nur noch auf die logischen Verknüpfungen der Begriffe an. Dabei werden die Verknüpfungen (mathematisch: Relationen) durch die grundlegenden Sätze, die Axiome, festgelegt. Dieses seit Hilbert so bezeichnete axiomatische Denken ging von der Geometrie aus. Anschließend wurde es nach und nach auch für weitere mathematische Bereiche richtungsweisend — ebenso für angrenzende Gebiete, wie etwa die Philosophie. Hier konnte dann Hilbert auf seine mathematische Vielseitigkeit zurückgreifen.Schulzeit und StudiumDavid Hilberts väterliche Vorfahren hatten sich — aus Sachsen kommend — zur Zeit Friedrichs des Großen in Königsberg niedergelassen und waren dort als Ärzte und Juristen tätig. Davids Mutter stammte aus einer Königsberger Kaufmannsfamilie und war eine außergewöhnlich gebildete, an Philosophie, Astronomie und Mathematik interessierte Frau.David wurde in Wehlau, knapp 50 km östlich von Königsberg, am 23. Januar 1862 als einziger Sohn geboren. Seine jüngere Schwester starb mit 28 Jahren bei der Geburt ihres Kindes. Von 1870 an war er Schüler des Königlichen Friedrichskollegiums, das auch Kant besucht hatte. Doch war Hilbert an dieser Schule nicht recht glücklich, besonders weil er gegen den dort üblichen Drill des Sprachunterrichts eine gewisse Abneigung hatte. Sein letztes Schuljahr, 1879/80, verbrachte er auf dem 1874 neu gegründeten Wilhelmsgymnasium. Als man Hilbert später einmal fragte, was ihm die Mathematik auf der Schule bedeutet habe, hat er geantwortet: »Ich habe mich auf der Schule nicht besonders mit Mathematik beschäftigt, denn ich wusste ja, dass ich das später tun würde.«Nach dem Abitur studierte Hilbert ab Herbst an der Universität Königsberg. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten hier unter anderem Heinrich Weber (1842—1913) und Ferdinand Lindemann (1852—1939). Ferdinand Lindemann war 1882 in Freiburg durch den Beweis der Transzendenz der Kreiszahl đ berühmt geworden. Er hatte damit das über zwei Jahrtausende alte Problem der Quadratur des Kreises endgültig bezwungen. Lindemann prägte zehn Jahre lang die Mathematik in Königsberg, ehe er 1893 einem Ruf nach München folgte. Lindemanns Einfluss bewirkte, dass sich Hilbert ab 1883 intensiv mit Invariantentheorie beschäftigte, einem grundlegenden Teilgebiet der strukturorientierten Algebra des 20. Jahrhunderts. So kam es, dass er bereits ein Jahr später bei Lindemann promovierte.Im Mai 1885 hat er dann das Staatsexamen abgelegt — ein damals üblicher Abschluss, um sich auch die Laufbahn eines Gymnasiallehrers offen zu halten. Nachdem ihn Studienreisen nach Leipzig und Paris geführt hatten, habilitierte er sich bereits 1886 mit einer ebenfalls invariantentheoretischen Arbeit. Hilbert bezeichnete sich damals als »Fach-Invariantentheoretiker«.Vorlesungstätigkeit in KönigsbergSeit der Studienzeit verband ihn eine lebenslange, wissenschaftlich fruchtbare Freundschaft mit Hermann Minkowski (1864—1909). Befreundet war Hilbert auch mit Adolf Hurwitz (1859—1919), der 1884 als außerordentlicher Professor nach Königsberg gekommen war und Hilbert in die Funktionentheorie eingeführt hat. Sie diskutierten auf ihren täglichen Spaziergängen »nachmittags präzise 5 Uhr nach dem Apfelbaum« unter anderem über die cantorsche Mengenlehre. Sie gehörten — im Gegensatz zur Berliner Schule um Leopold Kronecker (1823—1891) — zu den Ersten, die dieses damals jüngste Gebiet der Mathematik würdigten und anwandten.Es ist charakteristisch für Hilberts Arbeitsweise, dass er sich in ein neues Gebiet nicht durch systematischen Unterricht oder durch das Buchstudium eingearbeitet hat, sondern er hat das Gespräch mit Gleichgesinnten bevorzugt. In der Königsberger Zeit war es auch zu einer engen Jugendfreundschaft mit der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867—1945) gekommen. Hilbert hat die Künstlerin Zeit seines Lebens geschätzt und verehrt.Hilberts Zeit als Privatdozent, von 1886 bis 1892, ist gekennzeichnet durch eine beachtliche Vielseitigkeit. Manches davon hat auch Einfluss gehabt auf seinen späteren berühmten Vortrag über die mathematischen Probleme (1900). In sorgfältig vorbereiteten, durchwegs neuen Vorlesungen hat er sich über alle wichtigeren Gebiete der Mathematik die umfassende sichere Erfahrung geschaffen, die ihm das Studium noch nicht vermittelt hatte. Hilbert hat gern Gebiete, über die er zu arbeiten beabsichtigte, zuerst in Vorlesungen behandelt.Allerdings gab es damals nur äußerst wenige Studenten in Königsberg — unter anderem eine mögliche Folge des Krieges von 1870/71. Seinem Freund Felix Klein (1849—1925), dem Doktorvater von Lindemann und Hurwitz, schreibt Hilbert im Sommersemester 1891: »Unser Zuhörerkreis besteht jetzt im Wesentlichen aus zwei Studenten, zu denen in meiner dritten Vorlesung über projektive Geometrie noch als dritter Mann der Vorsteher der hiesigen königlichen Kunstschule — ein für Geometrie interessierter Maler — hinzukommt.«Neue Forschungsgebiete — Berufung nach GöttingenWährend der Sommerferien 1888 hat Hilbert im Ostseebad Rauschen die wichtige Arbeit »Zur Theorie der algebraischen Gebilde« abgeschlossen. Sie enthält den in der heutigen Algebravorlesung für Mathematikstudenten grundlegenden Basissatz, der nach Hilbert benannt wird. Hilbert hatte mit einem nicht konstruktiven Existenzbeweis eine neue Beweisart entwickelt. Der damalige »König der Invarianten« Paul Gordan (1837-1912) hat sich daher zunächst skeptisch darüber geäußert: »Das ist keine Mathematik. Das ist Theologie.« Doch bald hat auch er diese neue Methode gewürdigt. Gerade an diesem Aufsatz werden kennzeichnende Züge von Hilberts Arbeitsweise deutlich: das Hinabsteigen zu den tiefsten Grundlagen einer Fragestellung, und — damit verbunden — eine überlegene Kenntnis und Beherrschung des Formalismus, die ihm die rechnerischen Hilfsmittel mit fast unbewusster Selbstständigkeit in die Hände spielt. Dabei hat Hilbert den Formalismus vielfach abfällig beurteilt.Das Jahr 1892 führte zu Veränderungen: Nachdem er sechs Jahre Privatdozent war, übernahm Hilbert in Königsberg die außerordentliche Professur von Hurwitz. Im gleichen Jahr heiratete er Käthe Jerosch (1864—1945), die aus einer Königsberger Kaufmannsfamilie stammte. Der 1893 geborene Sohn Franz Hilbert (1893—1969), ihr einziges Kind, erkrankte mit 20 Jahren und blieb den Eltern stets eine Sorge. Frau Käthe Hilbert galt als ihrem Manne durchaus ebenbürtig. Gütig und kritisch, immer originell, gingen von ihr Lebensfreude und Menschenkenntnis aus.Zu Klein, der 1895 die Berufung Hilberts nach Göttingen veranlasst hatte, bestand schon seit langem eine engere wissenschaftliche Verbindung. Seit 1888 hat Hilbert die vorbereitenden Entwürfe seiner größeren Arbeiten an Klein geschickt, der sie dann der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften für die Göttinger Nachrichten vorgelegt hat. Was seine wissenschaftliche Arbeit angeht, so hat Hilbert die Jahre von 1892 bis 1897 im Wesentlichen der Zahlentheorie gewidmet. Am Beginn dieser Periode steht die Vereinfachung der hermite-lindemannschen Beweise der Transzendenz der Zahlen e und π. Im Mittelpunkt steht zweifellos der 1897 erschienene monumentale Bericht »Die Theorie der algebraischen Zahlkörper«, der eine erhebliche Wirkung auf die weitere Entwicklung dieses Gebietes hatte.Der Übergang von Königsberg nach Göttingen war auch durch die sehr viel größeren Studentenzahlen für Hilbert einschneidend. Wie er schreibt, waren für ihn »die Jahre der Königsberger Geborgenheit eine Zeit der stetigen Reife« gewesen. Die Ferien hatte er meist im Samland verbracht und dort manche Arbeit geschrieben, so etwa in Kirtigehnen bei St. Lorenz oder in Warnitz, beides in der Nähe des Ostseebads Rauschen oder auch im Seebad Cranz.Grundlagen der Geometrie1899 hat nun Hilbert in scheinbar kürzester Zeit eines seiner Hauptwerke, die »Grundlagen der Geometrie« veröffentlicht. Die weltweite Wirkung, die von diesem Werk ausging, war dadurch noch verstärkt worden, dass Hilbert vorher — bis auf einen wissenschaftlichen Brief — nichts zur Geometrie veröffentlicht hatte. Selbst seine engsten Mitarbeiter waren über das grandiose Ergebnis erstaunt. Hilbert hatte mit ihnen vorher nie darüber gesprochen. Die Entstehung des Werks blieb lange Zeit im Dunkeln. Erst rund 80 Jahre später wurde das Geheimnis seiner Entstehung gelüftet. Wesentlichen Anteil daran hatte der Nachlass Hilberts, der in den 1970er-Jahren zugänglich wurde. Den Kern der Entwicklung bildet ein nahezu vergessener Osterferienkurs »Über den Begriff des Unendlichen«, den Hilbert 1898 vor Lehrern gehalten hat. Hilbert verstand es, seine Anliegen zu verdeutlichen. So »beweist« er z. B. in einem Pseudobeweis die falsche Behauptung, dass alle Dreiecke gleichschenklig sind, und wollte damit warnen, die Anschauung als Beweisgrundlage heranzuziehen.Der Blick in die Werkstatt hat zugleich eine verbreitete Meinung über Hilbert zurechtgerückt: In seinen Publikationen tritt Hilbert durchwegs für die axiomatische Methode ein. Daher wurde er vielfach als Formalist angesehen. Manuskripte und Briefe offenbaren dagegen Hilberts intensive Auseinandersetzung mit der Anschauung und ihrer Bedeutung für die Geometrie. Zusammen mit seiner Haltung in späteren Jahren zeigt sich, wie wenig sich Hilbert tatsächlich von der Anschauung gelöst hat.Zu den Besonderheiten der »Grundlagen der Geometrie« gehört auch das letzte Kapitel über geometrische Konstruktionen. Sämtliche geometrischen Figuren, die sich mit Zirkel und Lineal (einem auf die aristotelische Philosophie zurückgehenden Ideal) konstruieren lassen, sind auch mit dem Zirkel allein konstruierbar, wie Georg Mohr im 17. Jahrhundert gezeigt hat. Mit dem Lineal allein geht es jedoch grundsätzlich nicht, wie man beweisen kann. Hilbert hat aber bewiesen, dass es geht, wenn man neben dem Lineal einen Streckenübertrager zulässt, d. h. ein dem Stechzirkel entsprechendes Instrument.Die »Grundlagen der Geometrie« erweckten bei manch einem den Eindruck, so fundamental für das geometrische Denken zu sein, dass sogar gefordert wurde, man solle in der Schule die Geometrie nach diesem Lehrbuch unterrichten. Während das wohl kaum zu realisieren war, diente es über Jahrzehnte hinweg als Standardlehrbuch für die gleichnamigen Universitätsvorlesungen. Das Buch wurde von Hilbert für neue Auflagen mehrmals überarbeitet. 1999 erschien es in der 14. Auflage als umfangreich erweiterte Jubiläumsedition.Mathematische ProblemeMit dem Erscheinen der »Grundlagen der Geometrie« beginnt auch die äußerlich glanzvollste Zeit im Leben Hilberts. Auf dem Zweiten Internationalen Mathematikerkongress in Paris am 8. August 1900 hat Hilbert als Vorsitzender der Deutschen Mathematiker-Vereinigung seinen grundlegenden Vortrag »Mathematische Probleme« gehalten, über die 23 Probleme, die seiner Meinung nach die Mathematiker des 20. Jahrhunderts beschäftigen würden. Diese Probleme bildeten tatsächlich die größten mathematischen Herausforderungen dieses Jahrhunderts und haben bis zur Gegenwart reiche Anregungen gegeben. Viele Probleme konnten gelöst werden, einige sind aber auch heute noch ungelöst. Doch gibt es zu fast allen wenigstens Ansätze und Teillösungen.Zu den herausgehobenen Problemen gehören das Problem der Widerspruchsfreiheit der arithmetischen Axiome, die mathematische Behandlung der Axiome der Physik und die Irrationalität und Transzendenz bestimmter Zahlen. Manche Probleme wurden unter besonderen Bezeichnungen bekannt, wie etwa das Kontinuumproblem oder die riemannsche Vermutung. Eines wurde weltweit nach seiner Position in Hilberts Liste benannt: das zehnte Problem. Hilbert wurde dadurch schlechthin als der »Mann der Probleme« angesehen.Zahlreiche Berufungsaussichten auf Lehrstühle anderer Universitäten — ab 1898 nach Leipzig, Berlin, Heidelberg und Bern — hat Hilbert stets abgelehnt. Dafür gelang es ihm, dass Göttingen nach und nach zu einem mathematischen Zentrum in Deutschland ausgebaut wurde. 1902 erreichte er die Berufung seines Freundes Minkowski nach Göttingen, sodass es bis zum Tode Minkowskis 1909 erneut zu einer engeren Zusammenarbeit kam. Das Ziel, eine Axiomatisierung der Physik, führte unter anderem bei Minkowski zur Mitentdeckung der Relativitätstheorie.Anwendung der axiomatischen Methode in Analysis, Physik und BeweistheorieIn den folgenden Jahren traten analytisch-funktionentheoretische Untersuchungen in den Vordergrund. Auch hier plante Hilbert einen axiomatischen Aufbau und anhand Integralgleichungen eine gewisse Vereinheitlichung der Analysis. Daraus ging später unter anderem der Begriff des in der Analysis heute noch geläufigen Hilbert-Raumes hervor. Viele Schüler Hilberts promovierten mit Arbeiten, die wesentliche Beiträge und Vorarbeiten zum Aufbau der späteren Funktionalanalysis leisteten.Im Anschluss daran wandte sich Hilbert der axiomatischen Durchdringung der Physik zu. Man könnte hier drei Perioden unterscheiden. In der ersten von 1912 bis 1914 wurden Ergebnisse der klassischen Physik durch Methoden der Integralgleichungen sorgfältig neu begründet, etwa durch Beiträge aus der kinetischen Gastheorie und der elementaren Strahlungstheorie. In der zweiten Periode ab 1914 ging es um die allgemeine Relativitätstheorie. Es kam zu Kontakten mit Einstein. Und schließlich widmete sich Hilbert in den 20er-Jahren einer Formalisierung der neu entdeckten Quantenmechanik.Nach den Arbeitsschwerpunkten Invariantentheorie, Zahlentheorie, Geometrie, Analysis und Physik hat sich Hilbert in seiner letzten Schaffensperiode außerordentlich tief liegenden und schwierigen Fragen zugewandt — der Axiomatisierung des Zahlenaufbaus und der damit zusammenhängenden Beweistheorie. Phasen der Einarbeitung in diese Grundlagen der Mathematik gehen bis in die 1890er-Jahre zurück.Wenn auch Hilberts Programm, eine mit finiten Methoden gesicherte Beweistheorie, nicht voll durchführbar war, so hat Hilbert mit seinen Anregungen doch den Grund für die spätere Auffassung vom Wesen der Mathematik gelegt.1925 war Hilbert lebensgefährlich an einer Anämie erkrankt. Die Krankheitskosten belasteten seine wirtschaftliche Lage nach der Emeritierung. Auch ging das Privatvermögen durch den Konkurs der Königsberger Unions-Gießerei verloren. Hilbert geriet in eine finanzielle Notlage und war gezwungen, Teile seiner Bibliothek zu verkaufen. Im Wintersemester 1933/34 hielt er seine letzte Vorlesung, nach der er das Mathematische Institut nicht wieder betreten hat. Die politische Entwicklung der 30er-Jahre bedrückte ihn. Viele seiner Kollegen hatten Deutschland verlassen müssen. Bekannt ist seine Antwort auf die Frage, ob die Mathematik in Göttingen unter den Säuberungen gelitten habe: »Gelitten? Die gibt es gar nicht mehr!« Hilbert starb am 14. Februar 1943 in Göttingen.Entgegen mancher Konvention stand Hilbert seinen Studenten stets interessiert und aufgeschlossen gegenüber. Für ihn war seine Lehrtätigkeit ein gemeinsames Forschen mit seinen Schülern. Unter Hilbert entstand von 1898 bis 1933 die unglaubliche Zahl von insgesamt 69 Dissertationen, davon 60 allein zwischen 1898 und 1914. 1922 ehrten ihn seine Schüler mit einer umfangreichen Festschrift zu seinem 60. Geburtstag.Hilbert war Lebenskünstler und Individualist. Schlicht im Auftreten, wie sein wissenschaftlicher Stil, doch um seinen Wert wissend, setzte er sich vehement gegen jede Beschränkung der geistigen Freiheit ein. Gegen nationale oder rassische Vorurteile eingestellt, war ihm die völkerverbindende Einheit der Wissenschaft stets ein Anliegen.Hilbert hat in vielfältiger Weise über verschiedenste Gebiete der Mathematik gearbeitet. Es gelang ihm, auch entfernte Gebiete miteinander zu verbinden und deren Zusammenhänge zu sehen. Viele seiner Beiträge waren wegweisend für das mathematische Denken der folgenden Jahrzehnte. Sorgfältige Formalisierungen, neue mathematische Begriffe, weit reichende Probleme und tief liegende Fragestellungen gehen auf ihn zurück. Seine letzte anlässlich seiner Emeritierung in Königsberg 1930 gehaltene und über Rundfunk verbreitete Rede über »Naturerkennen und Logik« beendete er mit der eindringlichen Losung: »Wir müssen wissen. Wir werden wissen.« Diese Worte sind auch auf seinem Grabstein in Göttingen angebracht.Gesammelte Abhandlungen, 3 Bände (Berlin ²1970)Michael Toepell: Über die Entstehung von David Hilberts »Grundlagen der Geometrie«. Göttingen 1986.Constance Reid: Hilbert. Neuausgabe New York 1996.Jürgen Rennund John J. Stachel: Hilbert's foundation of physics. From a theory of everything to a constituent of general relativity. Berlin 1999.
Universal-Lexikon. 2012.